Forschungssynthese Geschlechterunterschiede im Bildungskontext

Wie sehr Geschlechterrollen noch im Bildungssystem verankert sind, zeigt sich nicht zuletzt an den niedrigen Zahlen weiblicher Studierender in MINT-Fächern. Unsere Forschungssynthese lotet aus, welche Maßnahmen in der Schule wirksam sind, um geschlechtsspezifische Unterschiede in stereotypen Fächern (wie Mathematik, Naturwissenschaften oder Lesen) abzubauen. Unser Augenmerk liegt dabei in erster Linie auf Maßnahmen, die auf sogenannte motivational-affektive Merkmale wie Interesse, Motivation, Freude und Selbstkonzept von Schüler*innen abzielen. Ziel ist, Wege aufzuzeigen, wie alle Schüler*innen – unabhängig von ihrem Geschlecht – ihr volles Potenzial in allen Fächern ausschöpfen können.

Forschungsfragen

  • Haben Maßnahmen in der Schule zur Stärkung und Förderung von sogenannten motivational-affektiven Merkmalen wie Interesse, Motivation, Freude und Selbstkonzept von Schüler*innen unterschiedliche Auswirkungen auf das im jeweiligen Fach stereotyp benachteiligte Geschlecht?
  • Welche Maßnahmen sind am wirksamsten um stereotype Geschlechterzuschreibungen hinsichtlich Schulfächern abzubauen?

Ergebnisse

Unsere Forschungssynthese gibt einen Überblick über das Entstehen von Geschlechterunterschieden im Bildungskontext und gibt Aufschluss, welche Maßnahmen im schulischen Kontext vielversprechend sind, um Ihnen entgegenzuwirken.

Schulische Maßnahmen haben Erfolg in Bezug auf Merkmale wie Motivation und Interesse.

  • Mädchen lassen sich für MINT-Fächer begeistern.
  • Der Mehraufwand für innovative Maßnahmen im Unterricht zahlt sich langfristig aus.
  • Maßnahmen im Schulkontext haben das Potential zu größerer Gleichberechtigung der Geschlechter beizutragen und lohnen sich deshalb.

Mädchen profitieren von schulischen Maßnahmen in MINT-Fächern mehr als Jungen.

  • Geschlechterbezogene Unterschiede in der Schule lassen sich so verkleinern.
  • Mädchen stets mitzudenken ist sinnvoll und notwendig.
  • Es zahlt sich aus, den Fokus von Förderung auf das benachteiligte Geschlecht – in MINT-Fächern Mädchen – zu legen.
  • Mädchen profitieren zwar stärker, aber auch auf die Jungen wirken sich Maßnahmen positiv aus.

Frühe Interventionen zum Aufbrechen von Geschlechterstereotypen sind besonders erfolgreich.

  • Traditionelle Rollenbilder lassen sich besonders auf Grundschulebene aufbrechen.
  • Es ist sinnvoll, in der Schule das Thema Gender von Anfang an im Blick zu haben.
  • Förderung von Mädchen bereits in der Grundschule kann der Grundstein für einen größeren Anteil an Frauen in MINT-Berufen sein.
  • Obwohl Interventionen in der Grundschule am erfolgreichsten sind, bleiben Merkmale wie Interesse und Motivation das ganze Leben über formbar.

Was bedeuten unsere Forschungsergebnisse für die schulische Praxis? Mehr Informationen und Tipps zur konkreten Umsetzung im Schulalltag finden Lehrkräfte und Interessierte in unserer Rubrik Für Lehrkräfte. Hier steht auch unser Themenheft Geschlechterunterschiede im Bildungskontext zum kostenlosen Download zur Verfügung.

Wissenschaftliche Publikationen

Lesperance, K., Hofer, S., Retelsdorf, J., & Holzberger, D. (2022). Reducing gender differences in student motivational-affective factors: A meta-analysis of school-based interventions. British Journal of Educational Psychology, 00, 1–35. doi: 10.1111/bjep.12512

Vorgehen

Im ersten Schritt, der Literaturrecherche sind wir auf eine große Menge Studien zum Thema gestoßen. Um relevante Studien zu finden, legten wir zunächst Schlagwörter fest. Dabei nutzen wir eine Kombination aus Zielgruppe (beispielsweise „Schüler*innen“ oder „Schule“), dem Themenbezug zu geschlechterspezifischen Unterschieden, einer Verbindung zu schulbasierten Interventionen sowie zu motivational-affektiven Merkmalen. Die Recherche führten wir hauptsächlich in Online-Datenbanken durch.

Im Zuge der Ein- und Ausschlusskodierung sichteten wir die einzelnen Studien anhand ihrer Titel und Kurzzusammenfassungen. Welche Studien Eingang in unsere Forschungssynthese fanden, bestimmten wir mit vorab festgelegten Kriterien:

  • Betrachtung schulischer Interventionen auf Ebene der Primär- und Sekundärbildung
  • Untersuchung von mindestens einem motivational-affektiven Merkmal im Rahmen der Studie
  • Vergleich einer Gruppe, die die Intervention erhalten hat, mit einer anderen Gruppe, die die Intervention nicht erhalten hat (Kontrollgruppe)
  • Fokus auf Fächer aus dem MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften) oder Lesen/Sprache

Dann widmeten wir uns der Feinkodierung, das heißt, wir kodierten den Gesamttext der jeweiligen Forschungsstudie. Um unsere Forschungsfragen zu beantworten, filterten wir die relevanten Informationen aus den Studien heraus und sortierten auch hier nochmals Studien aus, die sich als doch nicht relevant oder deren Informationen sich als unzureichend erwiesen. Eine wichtige Rolle spielten bei der Feinkodierung spielten Qualität und Effektstärke, also die Größe der Wirkung von Maßnahmen.

Nachdem wir alle relevanten Kriterien kodiert haben, fassten wir im Rahmen der Ergebnisgewinnung die Ergebnisse der Einzelstudien mithilfe von statistischen Berechnungen zu einer durchschnittlichen Effektstärke zusammen. Bei unserer Forschungssynthese handelt es sich also um eine Metaanalyse.